Gemälde „Stilles Skagen“ von Gerd Zimmermann – ruhige Dünen- und Meereslandschaft in Blau- und Sandtönen, lichtvoll, atmosphärisch, still.

Im Atelier des Lichts

Ombra Celeste Magazin


Ein leiser Text über meinen Vater, den Maler Gerd Zimmermann – über Farbe, Stille und das unerschütterliche Vertrauen in das Licht. Eine Erinnerung an ein Atelier voller Gerüche, an Geduld, Handwerk und den stillen Glauben, dass Schönheit Zeit braucht.


Im Atelier des Lichts

„Stilles Skagen“, eines seiner liebsten Werke.

Gerüche des Anfangs

Wenn ich an meinen Vater denke, rieche ich zuerst die Farbe. Sie war allgegenwärtig – eine Mischung aus Leinöl, Terpentin, Kreide, Metall, Staub. In seinem Atelier hing dieser Duft in der Luft wie eine Erinnerung, die nie vergeht. Manchmal war er so stark, dass ich sie noch auf meiner Kleidung roch, wenn ich längst wieder draußen war. Für mich war das kein chemischer Geruch, sondern etwas Lebendiges – der Atem seiner Arbeit, die Sprache seiner Hände.

Die andere Zeit

Sein Atelier war kein Raum, es war ein Zustand. Dort herrschte eine andere Zeit. Die Uhr tickte, aber niemand hörte sie. Sonnenlicht fiel in langen Streifen durch die hohen Fenster und glitt über Leinwände, Pinsel, Gläser, Papier. Alles hatte seinen Platz, und doch war es kein Ort der Ordnung, sondern der Bewegung. Überall Spuren: Farbflecken, getrocknete Tropfen, ein offenes Skizzenbuch. Es war ein Raum, in dem etwas geschah – langsam, stetig, fast unmerklich. Und ich durfte zusehen.

Sprache ohne Worte

Mein Vater, der Maler Gerd Zimmermann, war nie laut. Er sprach mit Farben, nicht mit Worten. Wenn er arbeitete, schien er zu verschwinden – als wäre er nur noch Auge und Hand. Ich erinnere mich an den Rhythmus seiner Bewegungen, das leichte Anheben des Pinsels, das Zögern vor einer Linie, das kontrollierte Loslassen. Manchmal stand ich in der Tür, beobachtete ihn und wusste, dass ich ihn in diesem Moment nicht ansprechen durfte. Es war, als ob das Licht selbst zuhören musste.

Ich habe dort gelernt, dass Stille kein Fehlen ist, sondern eine Form von Gegenwart.

Vielseitigkeit als Haltung

Er konnte mit allem malen – mit Öl, Acryl, Pigment, Tusche, Collagen, Holz, Papier. Jede Technik hatte bei ihm denselben Respekt. Kein Material war ihm zu schlicht, keine Fläche zu klein. Ich glaube, er hat nie zwischen Kunst und Handwerk unterschieden. Für ihn war beides Ausdruck derselben Disziplin: Aufmerksamkeit. In seinem Werk gibt es Explosionen von Farbe und dann wieder leise, beinahe monochrome Flächen, in denen sich das Auge ausruhen kann. Beides ist echt. Beides ist er.

„Stilles Skagen“

Unter seinen vielen Arbeiten gibt es eines, das ihm besonders nah ist: Stilles Skagen. Dieses Bild wirkt, als hätte es seinen eigenen Atem. Ein Horizont, der sich auflöst. Blau und Ocker, Sand und Meer, so ruhig, dass man meint, man könnte die Stille hören. Es ist kein lautes Bild. Es flüstert. Vielleicht mag er es deshalb – weil es nichts beweisen will. Es ist ein Werk, das atmet, nicht spricht. Wenn ich es betrachte, sehe ich darin ihn selbst: zurückhaltend, konzentriert, warm.

Die Stunden davor

Mein Vater hat in seinem Leben unzählige Bilder gemalt. Viele davon haben ihren Weg hinaus in die Welt gefunden – in Galerien, Sammlungen, Ateliers anderer. Aber das, was mich bis heute am meisten berührt, ist die Zeit davor – die Stunden, in denen das Bild noch nicht fertig war, in denen Farbe, Geduld und Schweigen miteinander rangen. Ich erinnere mich, wie das Tageslicht sich veränderte, während er arbeitete. Morgens war es kühl und blau, nachmittags golden und schwer. Und mit jeder Stunde wandelte sich auch das Bild, als hätte es ein Eigenleben.

Kunst ist Zeit, die Form angenommen hat.

Geduld als Würde

Ich habe dort gelernt, dass Schönheit nicht entsteht, weil man sie will, sondern weil man sie aushält. Mein Vater konnte stundenlang vor einer Leinwand stehen, ohne sie zu berühren. Manchmal sagte er dann nur: „Noch nicht.“ Es war diese Geduld, die mich als Kind zugleich irritierte und faszinierte. Ich wollte, dass er etwas malt, dass sich etwas verändert. Doch für ihn war das Warten Teil des Prozesses. Heute weiß ich: In dieser Geduld liegt Würde.

Linie und Weißraum

Er ist nicht nur Maler, sondern auch Grafiker. In seiner Selbstständigkeit entwarf er Plakate, Logos, Buchumschläge. Ich erinnere mich an sauber geschnittene Papierbögen, an das Surren der Schneidemaschine, an feine Linien, die wie von allein auf dem Transparentpapier entstanden. Zwischen der freien Malerei und der präzisen Grafik lag eine ganze Welt – und er beherrschte beide. Diese Verbindung von Intuition und Disziplin war sein Geheimnis. Sie machte seine Kunst menschlich, aber nie zufällig.

Die gezeichnete Bewegung

Vor über fünfzig Jahren arbeitete er an einem Zeichentrickfilm. Damals war noch nichts digital, jede Bewegung wurde gezeichnet, jedes Bild per Hand vorbereitet. Ich weiß nicht, ob ihm diese Arbeit als Kunst galt, aber ich erinnere mich an die Sorgfalt, mit der er die Figuren auf Transparentpapier übertrug. Für mich als Kind war es magisch: Menschen, die auf Papier lebendig wurden. Erst später verstand ich, dass das nichts anderes war als Vertrauen in den Prozess – dass auch Bewegung gezeichnet werden kann, wenn man sie genau genug sieht.

Der innere Puls

Ich glaube, mein Vater hat nie aufgehört, diese Bewegung zu suchen – in Farben, in Flächen, in Licht. Auch seine ruhigsten Bilder haben einen inneren Puls. Wenn man lange genug hinsieht, spürt man ihn. Es ist, als ob die Farbe selbst atmet. Vielleicht ist das das, was ich von ihm geerbt habe: dieses leise Gespür für das, was lebt, ohne sich zu bewegen.

Staub im Sonnenstrahl

Ich erinnere mich an Nachmittage, an denen das Atelier von Licht überflutet war. Staub tanzte in den Sonnenstrahlen, als wären es winzige Planeten. Ich saß auf einem Hocker, hörte das leise Kratzen des Pinsels auf Leinwand, das Umrühren des Wasserglases, das gelegentliche Klirren eines Metallbechers. Draußen fuhr vielleicht ein Auto vorbei, ein Vogel rief – aber im Raum selbst war alles still. Diese Stille war kein Mangel. Sie war Teil des Bildes. Und ich glaube, sie war Teil von ihm.

Stille ist der Ort, an dem Farbe zu sprechen beginnt.

Gesetze des Leisen

Heute, wenn ich an meinen eigenen Projekten arbeite, spüre ich oft diese Stille wieder. Sie begleitet mich, auch wenn ich keine Pinsel halte. Vielleicht hat sie sich in mir festgesetzt. Vielleicht ist Ombra Celeste auch deshalb so, wie es ist: langsam, bedacht, von Hand, voller Respekt für Material und Licht. Ich mache keine Kunst, aber ich folge denselben Gesetzen: Geduld, Achtsamkeit, Wahrheit im Detail. Mein Vater hat nie gesagt, wie man etwas schön macht. Er hat nur gezeigt, wie man ehrlich arbeitet.

Keine Mode

Seine Malerei war nie Mode. Sie hatte keine Angst vor Zeit. Wenn andere sich an Strömungen orientierten, malte er einfach weiter – mit sich, nicht gegen sich. Ich habe ihn nie hetzen sehen. Vielleicht, weil er wusste, dass jedes Bild erst dann fertig ist, wenn es von selbst schweigt. Das ist ein schöner Gedanke: dass Dinge, wenn sie ganz sind, still werden dürfen. Ich glaube, so sollte auch das Leben sein.

Zwei Arten von Bildern

Es gibt Werke von ihm, die laut sind – Explosionen von Rot, Orange, Blau, kraftvoll und mutig. Und dann gibt es solche wie Stilles Skagen, die nur flüstern. Beides gehört zusammen. So wie Tag und Nacht, Sonne und Schatten, Stimme und Atem. Ich erkenne darin etwas von der Welt, die ich später selbst gesucht habe: die Balance zwischen Ausdruck und Ruhe, zwischen Glanz und Demut.

Alchemie der Farbe

Manchmal sehe ich ihn noch in Gedanken im Atelier stehen. Das Licht fällt auf seine Schultern, sein Blick ist konzentriert, aber weich. Er sieht nicht auf mich, sondern auf das, was vor ihm liegt. Ich frage mich, was er sieht. Vielleicht nichts. Vielleicht alles. Vielleicht das, was noch kommen wird. Ich weiß nur: In diesem Moment ist er vollständig. Es ist, als wäre er selbst Teil des Bildes geworden.

Wer malt, verwandelt Zeit in Gegenwart.

Das Wort „atmen“

Ich erinnere mich, wie er Farben anmischte: ein Tropfen mehr Blau, ein Hauch weniger Gelb, und plötzlich war die Stimmung anders. Es war wie Alchemie. Er sprach nie darüber, aber man sah, dass jede Entscheidung Gefühl war, keine Berechnung. Wenn ich ihn fragte, warum er etwas so und nicht anders machte, antwortete er manchmal: „Weil es sonst nicht atmet.“ Dieses Wort hat sich in mir festgesetzt. Atmen. Auch Dinge, die still sind, müssen atmen dürfen.

Zuhören lernen

Ich habe verstanden, dass Malerei nichts anderes ist als eine Form des Zuhörens. Man lauscht der Farbe, der Leinwand, dem Moment. Man lernt, wann man eingreifen darf und wann man loslassen muss. Mein Vater konnte beides. Und vielleicht war das seine größte Kunst: das rechte Maß zwischen Kontrolle und Vertrauen.

Warum ich schreibe

Wenn ich heute über ihn schreibe, tue ich es nicht aus Nostalgie. Ich tue es, weil ich glaube, dass Menschen wie er eine andere Form von Wissen tragen – eines, das sich nicht messen lässt. Er hat mir gezeigt, dass das Einfache das Schwierigste ist. Ein Strich, eine Fläche, ein Licht. Und dass alles, was wahr ist, zuerst leise ist.

Verwandlungen

„Stilles Skagen“ steht für all das. Für Ruhe, Geduld, Klarheit. Für das Vertrauen, dass weniger genug ist. Es zeigt kein Drama, keine Pose. Es ist einfach da. Vielleicht ist das der Grund, warum er es liebt. Und vielleicht ist das der Grund, warum ich diesen Text schreibe. Weil ich gelernt habe, dass das Bleibende immer im Leisen beginnt.

Weiterleben

Es gibt Tage, an denen ich ihn arbeiten sehe – am Tisch, an der Leinwand, ganz bei sich. Und selbst, wenn wir uns nicht begegnen, erkenne ich ihn in vielem wieder: in der Art, wie das Licht auf eine Fläche fällt, in der Geduld, die ich brauche, um ein Detail zu verstehen. Solche Dinge verschwinden nicht. Sie setzen sich fort – in Farbe, in Duft, in Haltung. Manchmal auch einfach in einem Blick, der länger bleibt als nötig.

Das, was bleibt, ist nie laut. Es bleibt, weil es wahr ist.

Was bleibt

Man könnte sagen, sein Werk sei vollständig. Aber das wäre falsch. Er arbeitet noch immer – offen, suchend, ohne Eile. Kunst, die ehrlich ist, hört nie auf; sie verändert nur ihre Form. Seine Bilder wachsen weiter, in neuen Farben, in neuen Räumen, und vielleicht auch ein wenig in dem, was ich tue. Ich empfinde das nicht als Pflicht, sondern als Geschenk – eine stille Form der Verbindung – von Leinwand zu Licht, von Farbe zu Duft, von Vater zu Sohn.

Zwischenräume des Lichts

Wenn ich an ihn denke, sehe ich keine Ausstellungen oder Preise. Ich sehe Hände, die gearbeitet haben. Ich sehe Linien, die zu Wegen wurden. Ich sehe den Moment, in dem das Licht auf die Leinwand fällt und ein Bild entsteht, das nie wieder verschwindet. Und ich spüre Dankbarkeit. Für alles, was er mir beigebracht hat, ohne es zu sagen.

Schwester der Flamme

Ich glaube, dass Menschen, die mit Farbe arbeiten, eine besondere Beziehung zum Licht haben. Sie verstehen, dass es nicht nur hell oder dunkel ist, sondern tausend Zwischenräume kennt. Vielleicht hat mich das geprägt. Ich suche diese Zwischenräume bis heute – in Duft, in Wort, in Stimmung. Es ist derselbe Versuch, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen, ohne es zu zerstören.

Ein letzter Kreis

Manchmal zünde ich eine Kerze an und denke, dass die Flamme eine kleine Schwester seiner Farben ist. Beides lebt vom Atem, beides verändert sich im Moment. Und beides erinnert daran, dass nichts ewig sein muss, um Bedeutung zu haben. Es genügt, wenn es leuchtet.


La fiamma che ti abbraccia – Die Flamme, die dich umarmt.

Zurück zum Blog